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Aktuelles

Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit

Start der 26. Reutlinger Vesperkirche mit einem Festgottesdienst. Nach zwei Jahren ohne Aufenthaltsmöglichkeit, nun gleich an zwei warmen Orten

Die 26. Reutlinger Vesperkirche hat am gestrigen Sonntag begonnen. Pfarrer Dr. Joachim Rückle hat während des Gottesdienstes zum Start symbolisch das Brot gebrochen, um es mit den Armen dieser Stadt zu teilen. Zuvor hatte jedoch Vesperkirchen-Pfarrer Jörg Mutschler „alle Gäste und Sympathisanten“ begrüßt, denen man nun „nach den Zeiten der Verhüllung und Distanz wieder offen begegnen darf“. Endlich sei sie wieder da, „die gewohnte, normale Vesperkirche“. Aber: Dieses besondere Gasthaus „ist doch eigentlich ein Ärgernis“, so Prof. Bernhard Mutschler. Warum? „Weil die Vesperkirchen Aufgaben der staatlichen Daseinsfürsorge übernehmen“, so Pfarrer Bernhard Mutschler, der mit Jörg Mutschler nicht verwandt sei.

In seiner Predigt dankte Bernhard Mutschler als Vorstandsvorsitzender der Bruderhaus-Diakonie all den Ehrenamtlichen, die sich in den kommenden vier Wochen auch dieses Jahr wieder in die Reutlinger Vesperkirche einbringen. Mehr als 200 Personen sind es erneut, gebraucht werden auch mehr als vor der Pandemie – weil ja in der Unteren Gerberstraße 11 zusätzlich eine „Wärmestube“ mit der Ausgabe von Kaffee und Kuchen angeboten wird. Birgit von Vacano hatte als Mitglied des Vesperkirchen-Leitungsteams (und CDU-Gemeinderätin) die Kontakte zur GWG hergestellt – und ziemlich überraschend diese Möglichkeit in der Gerberstraße erhalten. „Und das auch noch kostenlos“, freute sich von Vacano.

Laut Ulrich Soulier ist fast das gesamte Leitungsteam neu – „damit hängt ganz viel an denjenigen, die schon seit vielen Jahren dabei sind. Während Soulier an 19 Tagen vor Ort sein wird, hat Birgit von Vacano sich sogar für 20 Tage angemeldet. Mit dabei sind auch wieder viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die schon auf einige Jahre Erfahrung zurückblicken. „Auf die können wir bauen“, so von Vacano. „Die Vesperkirche ist wichtig – auch wenn wir uns wünschen würden, dass wir sie gar nicht bräuchten“, hatte Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck gestern in seinem Grußwort betont.

Erneut würden nach den Worten des OB auch dieses Jahr wieder rund 10 000 Mahlzeiten ausgegeben werden. Das Essen kommt wie gewohnt von der Kantine der Bruderhaus-Diakonie. Die Vesperkirche beweise laut Keck „die Hilfsbereitschaft und Unterstützung für Menschen unabhängig von ihrer Herkunft“. Dabei verwies der OB auch auf die große Spendenbereitschaft in der Stadt, „ohne die wäre die Durchführung gar nicht möglich“. Joachim Rückle bestätigte, dass auch für die diesjährige Vesperkirche erneut zahlreiche Spenden eingegangen seien. „Es sieht so aus, als ob es auch dieses Jahr wieder reicht“, so der Geschäftsführer des Diakonieverbands, unter dessen Dach sich die Vesperkirche wiederfindet.

130 000 Euro würden wohl gebraucht, sagte Rückle. Alles sei teurer geworden, vom Essen bis zu den Energiekosten. Neu im hauptamtlichen Team ist Sara Mbak, die in Vesperkirche und Wärmestube Kontakte zu Bedürftigen knüpft, um mit ihnen dringende Lebensfragen zu klären. Dorle Rauch, die sich um die Koordination der ehrenamtlichen Helfer in der Vesperkirche kümmert, ist ebenfalls neu dabei. Allerdings war der Andrang in der Nikolaikirche am gestrigen ersten Öffnungstag etwas verhalten: Trotz Sauerbraten, Rösti und Gemüse – also einem richtigen Sonntagsessen – hielt sich die Besucherzahl zunächst noch in Grenzen.

Erfahrungsgemäß wird die Zahl der Gäste in den kommenden Tagen deutlich zulegen. Möglich ist laut Bernhard Mutschler wie in den Jahren vor Corona auch wieder das Gespräch mit Ärztinnen oder Ärzten sowie mit Sozialarbeiterinnen. Kulturelles wird an jedem Donnerstag in den kommenden vier Wochen geboten. Kritisch dürfte es etwa am Donnerstagabend, 2. Februar, ab 19 Uhr zugehen, wenn eine Podiumsdiskussion die Frage nach sozialer Gerechtigkeit stellt. „Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter“, hatte Prof. Mutschler gestern betont. In diesem Sinne sei die Vesperkirche ein Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft.

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Veranstaltungen in der Vesperkirche

Alle Veranstaltungen sind kostenlos, Spenden sind willkommen