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Aktuelles

Wärmezone in kalter Gesellschaft

Ende der diesjährigen Vesperkirche nach vier Wochen mit einem Festgottesdienst

„Dank an die Vesperianer“ war nur einer der vielen Sprüche, die im Jahr 2023 Eingang in das Gästebuch der Reutlinger Vesperkirche gefunden hatten. Der Ausdruck der „Vesperianer“ hatte Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler aber besonders gut gefallen, wie er selbst gestern beim Abschlussgottesdienst betonte: „Das klingt wie Marsianer, wie Außerirdische, die eine Wärmezone in einer kalten Gesellschaft eingerichtet haben“, so Mutschler.

Vier Wochen Vesperkirche lagen gestern hinter allen Gästen und hinter all den Ehrenamtlichen, deren Zahl sich in diesem Jahr auf rund 250 belief. „Insgesamt 4000 Stunden haben sie dafür gesorgt, dass die Vesperkirche ein ganz besonderes Gasthaus für alle sein konnte“, führte Pfarrer Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands gestern in der Nikolaikirche aus. Und er hatte noch mehr Zahlen mitgebracht: Etwa 10 000 Essen hatte die Großküche der Bruderhaus-Diakonie erneut an die Vesperkirche geliefert. Die Qualität sei laut Mutschler stets ausgezeichnet gewesen, so manch positiver Kommentar im Gästebuch bestätigte das.

„Danke – das Essen ist sehr gut, die Bedienung auch“, war da zu lesen. „Eine wunderbare Einrichtung, diese Vesperkirche“, lautete ein anderer Eintrag. „Danke an alle Helferinnen und Helfer“, stand dort in dem Buch ebenso wie „Vesperkirche sensationell höflich und zuvorkommend und auch noch superlecker“. Ein Kommentar fragte aber auch nach: „Ich hätte gerne gewusst, wo sind die armen ukrainischen Flüchtlinge.“ Offensichtlich dachten die ärmeren Menschen in Reutlingen auch an diejenigen, die noch weniger haben.

Weitere Zahlen? 7000 Vespertüten wurden in den vergangenen vier Wochen ausgegeben. 320 Kuchen gebacken und gespendet, rund 1500 Liter Kaffee ausgeschenkt. Dazu passte die Top-Nachricht am gestrigen Sonntag: Am letzten Tag der Reutlinger Vesperkirche wurden insgesamt 75 Liter Kaffee in der sogenannten Wärmestube in der Gerberstraße ausgeschenkt. Ob das mit daran lag, dass die Reutlinger Grünen dort an diesem Tag ehrenamtlich geholfen hatten? „Nein, nein, ich habe keine einzige Tasse getrunken“, betonten Thomas Poreski und Susanne Häcker. Trotzdem: Es war ein Rekord, so viel Kaffee ist an keinem einzigen Tag der letzten  vier Wochen ausgeschenkt worden.

Das Fazit der Vesperkirche 2023? „Gute Begegnungen, gute Gespräche, gute Gemeinschaft, auch dieses Jahr wieder war die Nikolaikirche ein Ort der Wärme“, hatte Jörg Mutschler resümiert. Dem stimmte Sara Mbak, die als Sozialarbeiterin in den vergangenen vier Wochen immer wieder vor Ort war, vorbehaltlos zu: „Ich hatte viele gute Kontakte, bei denen ich auch schon manche Beratung durchführen konnte.“ Vorausblickend hatte sich Birgit von Vacano aus dem Leitungskreis der Vesperkirche geäußert: „Im nächsten Jahr brauchen wir unbedingt Friseure, da ist sehr oft nachgefragt worden.“

Gut sei die Stimmung gewesen, sagten manche Ehrenamtliche aus dem Leitungskreis. Doch zum Schluss wurden die Ansprüche der Gäste doch auch fordernder – kein neues Phänomen, betonten die erfahrenen Vesperkirchen-Helfer. Prof. Thomas Hörnig, der ehemals in der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg lehrte, lobte in seiner Predigt die Reutlinger Vesperkirche als „farbig, divers und anteilnehmend“. Doch er prangerte auch die „verschämte Armut im Alter“ an, „die immerhin fast 15 Prozent der Bevölkerung betrifft“. Beschämend ist laut Hörnig auch die zunehmende Kinderarmut in diesem so reichen Land: 2,5 Millionen Kinder seien davon in Deutschland betroffen.

Und wie geht’s weiter? „Bis nächstes Jahr in der Vesperkirche“, sagte Jörg Mutschler abschließend. Der Vesperkirchenpfarrer hatte auch zugegeben, dass er „jetzt ziemlich platt“ sei. Kein Wunder, nach vier Wochen Dauereinsatz für einen Pfarrer, der doch eigentlich im Ruhestand ist. Und dennoch: „Wir sehen uns wieder vom 14. Januar bis zum 11. Februar 2024“, sagte Mutschler frohgemut.

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